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vierten Mal werden die europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in einem Videogipfel über europäische Hilfen in der Coronakrise beraten. In einer historischen Krise, die
schonungslos die Ungleichheiten zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten freigelegt hat, geht es um historische Maßnahmen. Und um die Frage, wie solidarisch Europa sein kann, sein will. Die
Last, die auf diesem Gipfel ruht, ist groß. Mangelnde Solidarität sei "eine tödliche Gefahr für die Europäische Union" hatte der 94-jährige frühere Kommissionspräsident Jacques
Delors schon Ende März gewarnt. Vor allem die südlichen Mitgliedstaaten Italien und Spanien befürchten, erneut von den Nordländern enttäuscht zu werden; Frankreich hat sich von Beginn der
Krise an zu ihrem Fürsprecher gemacht. Ein Überblick. ITALIEN - WÜTENDE TWITTERDEBATTEN In Italien ist kurz vor dem Gipfel eine fast schon hysterische Debatte über Europa ausgebrochen. Es
geht um eine Art trojanisches Pferd, das Deutschland und andere EU-Staaten den Italienern angeblich vorsetzen, ein als Geschenk getarntes Konstrukt, das in Wahrheit nur ein Ziel habe: die
Souveranität Italiens zu beenden. "Die deutschen Dogmen führen uns zur totalen Zerstörung", heißt es in einem der vielen wütenden Beiträge auf Twitter. Gemeint ist der Europäische
Stabilitätsmechanismus (ESM). Eigentlich braucht das von der Pandemie besonders hart betroffene und wirtschaftlich schon zuvor angeschlagene Land die vorgesehenen Milliardenhilfen für das
Gesundheitswesen dringend. Aber größer als die Not ist der Stolz der Italiener. Viele von ihnen fürchten, wie Griechenland während der Eurokrise von einer Art Troika regiert zu werden,
sollte Rom die ESM-Gelder akzeptieren. Vor allem Lega-Chef Matteo Salvini macht gegen das Instrument mobil. "Hände weg von Italien", lautet seine Parole. Er hat Erfolg mit diesem
Kurs. In den sozialen Medien äußern sich 70 Prozent der Italiener kritisch oder empört über Hilfen aus dem ESM. Die Front verläuft quer durch die Politik. In der Opposition stellen sich die
Lega und die noch weiter rechts stehende Partei Fratelli d'Italia gegen den ESM. Silvio Berlusconi und seine Forza d'Italia hingegen sind dafür. In der Regierung unterstützt die
sozialdemokratische PD das Instrument - während die populistische Fünf-Sterne-Bewegung dagegen Stimmung macht. Befürworter des ESM haben es mit ihren Argumenten schwer. "Ohne Europa
wären wir schon pleite", sagt Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi. Rom könne den ESM "früher als andere benötigen", warnt auch Mario Monti, der als Regierungschef vor acht
Jahren die Troika für Italien verhindert hatte. Und dass, wie es EU-Kommissionsvize Frans Timmermans in einem Interview mit "La Repubblica" sagte, die Gelder diesmal ohne
Bedingungen fließen und "den wahren Helden in dieser Krise, den Ärzten und Krankenschwestern helfen" sollen, dringt in den aufgeregten Diskussionen kaum durch. Regierungschef
Giuseppe Conte muss sehr vorsichtig handeln, um seine Koalition zusammenzuhalten. Öffentlich hat auch er den ESM kritisiert. Aber er hat auch versprochen, die geplanten Finanzierungsregeln
genau zu studieren. Ihm würde es schon helfen, wenn der verhasste Stabilitätsmechanismus beim EU-Gipfel einen neuen Namen bekäme - und die Debatte sich auf andere Finanzierungsinstrumente
verlagerte: Conte fordert gemeinsame Anleihen der EU-Partner. "Die Debatte sieht so aus, als könnten wir wählen. Ja zum Wiederaufbaufonds, nein zum EMS", schrieb Enrico Letta, ein
Vorgänger Contes, auf Twitter. "Aber so ist es nicht. Die Schulden explodieren. Arbeitsmarkt und Produktion brechen zusammen. Wir brauchen alle diese Instrumente. Und noch einige
mehr." FRANKREICH - EIN POLITISCHES PROJEKT Für Präsident Emmanuel Macron geht es am Donnerstag um alles oder nichts, das machte er unmissverständlich in einem Interview mit der
"Financial Times" klar. "Dies ist die Stunde der Wahrheit, sie wird zeigen, ob die Europäische Union wirklich ein politisches Projekt ist oder nur ein
marktwirtschaftliches." Er glaube fest daran, so Macron, dass Europa ein politisches Projekt sei. Auf die Nachfrage, ob das Risiko eines Zusammenbruchs der Eurozone bestehe, antwortete
der Präsident: "Ja, ganz klar." Seit seinem Amtsantritt im Mai 2017 kämpft Macron für ein mächtigeres, handlungsfähiges Europa und läuft immer wieder gegen Wände, darunter auch
viele deutsche. Nun ist für den französischen Präsidenten der Moment gekommen, in dem es kein Ausweichen mehr gibt. Denn wann, wenn nicht jetzt in der Coronakrise, sollte sich Europa
solidarisch zeigen? Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire hatte schon Anfang April einen Vorschlag vorgelegt, wie die finanzstärkeren Mitgliedstaaten den schwächeren, allen voran
Italien und Spanien, helfen könnten. Der Vorschlag vermeidet bewusst das Wort "Bonds", die Hilfen sollen über einen gemeinschaftlichen, temporären Fonds fließen. Dieser soll fester
Teil eines vierstufigen Hilfsmodells der EU sein. Auf die ersten drei Elemente hatten sich die Finanzminister schon weitgehend verständigt: Dazu gehören der ESM, die Europäische
Investitionsbank und der neuen SURE-Mechanismus der Europäischen Kommission. Kein Land dürfe außen vor gelassen werden, sagt Le Maire: "Wir müssen dieser historischen Krise gemeinsam
und solidarisch begegnen." Mit dem Fonds sollen keine Altschulden finanziert werden, nationale Schulden würden über ihn nicht vergemeinschaftet, das betonen die Franzosen immer wieder.
Es gehe um konkrete Maßnahmen zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaft über gemeinsame europäische Anleihen, an denen sich finanzstärkere Länder stärker beteiligen sollen als schwächere
Mitgliedstaaten. Bei der Höhe des Fonds haben sich die Franzosen nicht festgelegt, aber in den vergangenen Tagen sprach Le Maire immer wieder von möglichen 1000 Milliarden Euro. SPANIEN -
EIN MARSHALLPLAN FÜR DEN WIEDERAUFBAU Schon vor Ostern hatte der spanische Ministerpräsident seine italienischen und französischen Kollegen unterstützt. Pedro Sánchez forderte von Brüssel,
eine Art "Kriegswirtschaft" in Gang zu setzen und später einen Marshall-Plan für den Wiederaufbau vorzusehen. Denn nach Berechnungen der Zentralbank in Madrid könnte die Wirtschaft
in diesem Jahr um bis zu 13,6 Prozent einbrechen und die Arbeitslosigkeit auf fast 22 Prozent ansteigen. Durch Zahlungen der Sozialkassen an Millionen Bürger, die ihren Job verlieren,
würden die Staatsschulden von jetzt 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Höhe schnellen, laut Prognose auf 122 Prozent. Um die Blockade der Verhandlungen zwischen den Regierungschefs
der EU vor dem EU-Gipfel am Donnerstag aufzulösen, hat der spanische Ministerpräsident am Montag einen Kompromissvorschlag an EU-Ratspräsident Charles Michel geschickt. Auch bei ihm geht es,
ähnlich dem französischen Vorschlag, um einen "Wiederaufbau-Fonds", der bis zu 1,5 Billionen Euro umfassen sollte. Damit solle die Wirtschaft in den am stärksten von der
Coronakrise betroffenen EU-Ländern wieder in Fahrt gebracht werden. Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan
häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser
Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema. Spanien schlägt vor, den Fonds an den Haushaltsplan der EU-Kommission für die kommenden sieben Jahre zu knüpfen. Der
Haushalt könne erweitert werden, indem die Mitgliedstaaten etwas mehr als die bisherigen 1,114 Prozent ihres BIP einzahlen. Die Kommission solle dauerhafte Schulden aufnehmen, dabei könnte
die Europäische Zentralbank eine Schlüsselrolle spielen. Gezahlt würden nur die Zinsen, das könne beispielsweise durch neue europäische Umweltsteuern finanziert werden. Wichtig an der
spanischen Formel ist, dass nicht - wie zuletzt bei der Finanzkrise 2010 - Kredite aus dem Fonds an die Mitgliedstaaten vergeben werden. Diese sollen sich nicht noch höher verschulden
müssen. Stattdessen sind direkte Transfers vorgesehen, die nicht zurückgezahlt werden. Sie wären befristet auf zwei bis drei Jahre und sollen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie
lindern. Die Höhe der Zahlungen würde laut dem spanischen Vorschlag nicht vom Bruttoinlandsprodukt abhängen, sondern sich danach orientieren, wie stark ein Mitgliedsland betroffen ist.
Spanien plädiert dafür, die Finanzierung aus dem neuen Fonds ab dem 1. Januar 2020 bereitzustellen.