Meinung: stille kündigung als widerstand gegen die ausbeutung

Meinung: stille kündigung als widerstand gegen die ausbeutung

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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Im Geiste des Themas meiner heutigen Kolumne sollte ich diesmal eigentlich


nur das Notwendigste schreiben, das heißt, nur genauso viele Zeichen, für die ich auch bezahlt werde, und keines mehr; denn es soll um das Phänomen des sogenannten »Quiet Quitting« gehen,


also um eine stilles Servus! zur beruflichen Übererfüllung. Im Juli lud der 24-jährige Zaid Khan, ein Ingenieur aus New York, via TikTok ein Video ins Netz, das viral ging und die Idee des


»Quiet Quitting« populär machte. Khan brachte eine Diskussion über adäquate Bezahlung und den Wert von Arbeit in Gang, insbesondere unter Menschen, die der sogenannten Generation Z


angehören. In diesem Video verabschiedet er sich von der Selbstverständlichkeit einer unbezahlten Arbeitsleistung: »Du kündigst nicht direkt deinen Job, aber du gibst die Idee auf, mehr zu


tun, als du willst«, erklärt er. »Du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du folgst nicht mehr der Mentalität der Hustle Culture, dass die Arbeit dein Leben sein muss.« Khan geht es


also um die – vermutlich für einige immer noch verblüffende und radikal wirkende – Vorstellung, dass Arbeit nicht den Lebensmittelpunkt der eigenen Existenz ausmachen muss bzw. der Wert


einer Person nicht von abstrakten Maßen wie der professionellen Produktivität oder der euphorischen Bereitschaft zur Selbstausbeutung abhängig gemacht werden sollte. Die Utopie des Quiet


Quitting: Man leistet nur so viel, wie in der Jobbeschreibung verlangt und bezahlt wird, aber eben nicht mehr als nötig. Das ist mit diesem »stillen Kündigen« gemeint, insofern es um das


Aufkündigen eines ungeschriebenen, jedoch zur Gewohnheit gewordenen, ökonomischen wie gesellschaftlichen Vertrags geht, der implizit fordert, dass man extra hart zu arbeiten hat, damit man


sich sein Gehalt auch wirklich erarbeitet – dass man sich also seinen Job erst durch Überstunden und Übererfüllung verdient; also im Grunde: Wer Arbeit will, der muss hart dafür arbeiten.


Das »Quiet Quitting« formuliert auf neue Weise eine vielleicht alte, aber nicht unbedingt gealterte und weiterhin wichtige Frage, in Anbetracht einer fortwährenden Produktivitätsbesessenheit


unserer Arbeitskultur: Was ist für mich, für den einzelnen Arbeitenden, der Sinn von Arbeit, wenn das Streben nach Produktivität zum reinen Selbstzweck wird? Der Fokus auf eine beständig


wachsende Produktivität einer Gesellschaft und ihrer Bürger:innen ist eine historisch gewachsene Überzeugung. Historisch gewachsen, weil eine protestantische Arbeitsethik den sichtbaren


Erfolg, Fleiß, Wohlstand und Reichtum, den ein Mensch im Diesseits erwirtschaftet, als ein Zeichen für die göttliche Erlösung im Jenseits definiert hat, weshalb die panische Betriebsamkeit


zum scheinbar überzeitlichen Ideal und zum einzigen Weg ins Paradies wurde. Zugleich verwandelten Uhren und ihre Ziffernblätter die noch nicht einheitlich messbare Zeit von einem abstrakten


Aspekt unserer Wirklichkeit in eine Ware, die plötzlich in konkrete Einheiten verpackt, verkauft und gekauft werden konnte. Die individuelle Lebenszeit wurde zu einem Territorium, das


erobert und deren Nutzen optimiert werden wollte. Immer wieder tauchen Menschen auf, die uns verkünden, auf welche Weise wir unsere Zeit mehr oder weniger sinnvoll verplanen sollten, um ein


erfülltes, glückliches Leben zu führen. Seit den Bestseller-Selbsthilfe-Gurus der Sechziger- und Achtzigerjahren hat sich in diesem Metier wenig verändert. Heute preisen anstrengende


Produktivitäts-Coaches übertrieben gut gelaunt To-do-Listen und Pomodoro-Techniken in unseren Timelines an. Und Influencer propagieren freudig mit Werbebotschaften verziert die Vorzüge der


»Hustle Culture«, also der Leistungskultur. »Du musst nur jeden Tag um 4:30 Uhr aufstehen und fleißig genug Videos drehen – und hier bitte den Rabattcode ›Reichtumsofort25‹ eintragen und


mein E-Book runterladen – dann kannst bald auch du dir deine Traumvilla leisten!« Was bleibt, ist ein quasireligiöser Glauben an den moralischen Wert der Selbstauflösung in ausbeuterischen


Arbeitsverhältnissen. Ein Workaholic zu sein, gilt nicht als Sucht, sondern ist vielmehr ein soziales Statussymbol. Stress ist Ausdruck einer eigenen Unersetzlichkeit, die Überarbeitung


Maßstab des eigenen Wertes. Wer schuftet, ist ein guter Mensch – wer viel schuftet, ein wichtiger – und wer nichts macht: schlecht wie wertlos. Die Ingenieurin und Autorin Melissa Gregg, die


sich in ihrem Buch »Counterproductive: Time Management in the Knowledge Economy« mit unserer Hyperproduktivität auseinandergesetzt hat, betrachtet insbesondere dieses beständige Coaching


unter Bezugnahme des Konzepts der »Athletik« des Philosophen Peter Sloterdijk als »eine Form des Trainings, durch die Arbeitnehmer zu immer gewagteren Handlungen der Einsamkeit und


Rücksichtslosigkeit fähig werden, die für die Herstellung beruflicher Kompetenz erforderlich sind.« Die romantisierte und isolierte Selbstaufopferung im Namen der Optimierung erfolgt aus


Angst vor dem Jobverlust, aus ökonomischer Verzweiflung, existenziellen Sorgen und/oder schlicht, um die eigene Familie versorgen zu können. Wir stellen unseren Fleiß aus, weil wir im


Bewusstsein aufwachsen, permanent unsere eigene Nützlichkeit unter Beweis stellen zu müssen – als müssten wir durch Geschäftigkeit demonstrieren, wie demütig und dankbar wir sind, überhaupt


einen Job zu haben. Gerade in unsicheren Zeiten ist nichts Glamouröses daran zu entdecken, aus schierer Überlebensangst produktiver sein zu müssen und die eigene leidenschaftliche


Selbstausbeutung für ein begehrenswertes Abzeichen zu halten: »Wir sind zu einer Zivilisation geworden, die auf Arbeit basiert – und zwar nicht einmal auf ›produktiver Arbeit‹, sondern auf


Arbeit als Zweck und Sinn an sich«, schreibt David Graeber in seinem Buch »Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit«. Die Ironie ist, dass Hyperproduktivität davon profitiert, dass wir


keinen Leerlauf haben, um darüber nachzudenken, ob wir der Tätigkeit, der wir gerade nachgehen, überhaupt in dem Maße nachgehen möchten, weil wir eben gerade zu beschäftigt damit sind, ihr


nachgehen zu müssen. Sprich: Wer Überstunden machen muss, der hat keine Zeit, gegen diese zu rebellieren. Quiet Quitting ist dementsprechend eine interessante Ausprägung der Abkehr von


diesem Dogma der Übererfüllung, weil es in einer leisen Revolution heimlich ein paar Sandkörnchen Zeit zurückerobern möchte. Es scheint eine Weiterentwicklung von Anti-Arbeitsbewegungen zu


sein, die insbesondere während der Hochzeit der Pandemie Sichtbarkeit erfuhren, wo es z. B. den »I don’t dream of labour«-Trend gab: In etlichen Videos und Essays erklärten junge Menschen,


warum sie keinen Traumjob hätten, weil sie eben nicht von Arbeit träumten. Oder das sogenannte »Tang ping«, die »Flachliegen«-Bewegung, die in China aufkam. Dabei handelte es sich um einen


Protest der chinesischen Jugend, die demonstratives Nichtstun praktizierte, dabei eben flachlag, um sich gegen den Leistungsdruck des chinesischen Arbeitslebens aufzulehnen. In den USA haben


nach Angaben des U.S. Bureau of Labor Statistics 2021 fast 57 Millionen Amerikaner:innen zwischen Januar 2021 und Februar 2022 ihren Job gekündigt, was als »The Great Resignation«


bezeichnet wurde. In verschiedenen europäischen Ländern wurde nach französischem Vorbild das »Recht auf Unerreichbarkeit« durchgesetzt oder verhandelt, das heißt, Chefs dürfen außerhalb der


Arbeitszeiten ihre Mitarbeiter nicht mehr kontaktieren. In Deutschland testen Unternehmen aktuell die Vier-Tage-Woche. Inmitten einer globalen Pandemie wurden die Grenzen zwischen Arbeit und


Privatleben zunehmend verwischt, zum Nachteil des eigenen Privatlebens. Anders als zuvor stellten sich existenzielle Fragen: Will ich weiterhin so leben – und will ich weiterhin so


arbeiten? Und das zeigt vielleicht die große Resonanz auf Anti-Arbeitsbewegungen wie auf das Quiet Qutting besonders deutlich: Für einen Großteil der Menschen gestaltet sich Arbeit so, dass


man ihr entfliehen möchte oder gar muss, um emotional überleben zu können; zugleich ist man aber natürlich auf sie angewiesen, weil man ja auch materiell überleben muss. Franz Kafka hat 1920


eine kleine Fabel geschrieben, die folgendermaßen geht: »Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war


glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht


die Falle, in die ich laufe.« – »Du musst nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie. Diese Parabel bringt das Dilemma unseres Arbeitslebens vielleicht ganz gut auf den


Punkt: wenn wir unsere Arbeitskultur nicht ändern können, können wir zumindest subtil versuchen, ihren Einfluss auf unser Leben zu verringern; aber dabei unterwerfen wir uns natürlich


weiterhin der Ausbeutungslogik einer auf Produktivität fixierten Gesellschaft. Denn das ist die Tragik dieses revolutionären und gleichzeitig komplett unrevolutionären Gedankens: dass eine


gesunde und selbstverständliche Grenzziehung als subversive Pflichtverweigerung gedacht werden muss. Ach, nein, wissen Sie was: streichen Sie bitte den Teil mit Kafka – das war jetzt doch


wieder eine unnötige Übererfüllung.