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Forsa-Chef Manfred Güllner hat die Deutschen in den vergangenen Jahren regelmäßig nach ihrer Meinung zur Atomkraft fragen lassen. Es gab ein Ereignis, das die Debatte seit mehr als zwei
Jahrzehnten bestimmte: den verheerenden Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1986. Danach war die Technik in weiten Teilen der Bevölkerung abgeschrieben. "Wir hatten eine
stabile Meinungsstruktur gegen Kernkraft - aber das bricht jetzt gerade auf", sagt Güllner zu SPIEGEL ONLINE. Stärker noch als die Sorge vor einem Atomunfall sei mittlerweile die Angst
vor steigenden Energiekosten und davor, eines Tages "im Kalten und Dunkeln zu sitzen". Und so glaubt der Meinungsforscher, dass CDU und CSU mit ihrem Plädoyer für längere
Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke auf dem richtigen Kurs sind, zumindest für ihre Klientel. Sollte das Thema im Wahljahr 2009 kontrovers diskutiert werden, dann könne die Union davon
eher profitieren als die SPD. Güllner: "CDU und CSU greifen ein Thema auf, das viele Menschen bewegt. Die SPD dagegen ist einmal mehr in Gefahr, zerrieben zu werden und außerdem noch
die eigene Anhängerschaft zu spalten." Mit Atomkraft also im Herbst 2009 punkten? So weit würde Güllner nicht gehen, aber eine "Entdämonisierung" der Atomenergie sei eindeutig
auszumachen. Die Forderung der Union nach längeren Laufzeiten werde auch in einem Teil der SPD-Anhängerschaft für "modern und pragmatisch" gehalten. POFALLA ENTDECKT DIE
ATOM-"ÖKO-ENERGIE" 2005 hatten sich SPD und Union im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den Atomkonsens der rot-grünen Ära nicht anzutasten. Es blieb also vorerst beim Ausstieg aus
der Kernenergie. Weitaus interessanter ist da schon die Frage, ob im kommenden Bundestagswahlkampf CDU und CSU mit der Kernenergie wirklich in der Bevölkerung ankommen können. Schon 2005
hatte Angela Merkel das Thema in ihren Reden zwar nicht gemieden - groß herausgestellt wurde es aber auch nicht. Derzeit ist das Thema durch eine Reihe von Interviewäußerungen von
Unionspolitikern fast täglich in den Medien. Erst kürzlich hatte das CDU-Präsidium für die Atomkraft in ihrem Klimapapier festgehalten: "Auf absehbare Zeit kann auf den Beitrag der
Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland nicht verzichtet werden." Anschließend sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, für seine Partei sei die Kernkraft
"Öko-Energie". Es war der Versuch, mit einer neuen Begrifflichkeit die unter den Deutschen ungeliebte Atomkraft ein Stück weit salonfähig zu machen. PFLÜGER WILL ATOMKRAFT ALS
"BRÜCKENTECHNOLOGIE" Doch in den vergangenen Tagen drohte die Auseinandersetzung bei der Union unübersichtlich zu werden - weg von der Laufzeitverlängerung hin zum Neubau von
Kernkraftwerken. So räsonierte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) öffentlich über den Neubau von Anlagen. Zwar nahm sie die Forderung nicht wörtlich in den Mund, sagte nur, es
gehe "heute" nicht darum, neue Kernkraftwerke in Deutschland zu bauen. "Aber wer kann sagen, ob das noch in zehn Jahren gilt?", schob die CDU-Vizechefin hinterher. Andere
wurden gleich deutlicher. Der Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, verlangte neben längeren Laufzeiten neue Kernkraftwerke. Es war Ole von Beust, der in Hamburg die erste schwarz-grüne
Koalition auf Landesebene führt, der indirekt zum Einhalt mahnte. In der Union sei es "weitgehend Konsens", auf den Neubau von Atomkraftwerken zu verzichten, sagte er. Ähnlich
äußert sich CDU-Präsidiumsmitglied Friedbert Pflüger. "Die Kernkraft kann nur dann ein richtiges Thema sein, wenn deutlich wird, dass sie eine Brückentechnologie ist, mit der wir den
Übergang zu regenerativen Energien schaffen, die Explosion bei den Energiepreisen eindämmen und die Abhängigkeiten von internationalen Energieanbietern verringern", sagt er SPIEGEL
ONLINE. Pflüger plädiert deshalb auch für einen "Atomkonsens II" mit der Energiewirtschaft. Um Handlungsfähigkeit nach innen und außen zu zeigen, müsse der Konflikt über die
Kernkraft in der Großen Koalition überwunden werden. Es müsse möglich sein, die Laufzeiten sicherer und moderner Kraftwerke zu verlängern. Gleichzeitig müsse "Abstand genommen werden
vom Bau neuer Kernkraftwerke". Es sei auch klar, dass Atomkraftwerke nicht den entscheidenden Anteil im Kampf gegen den Klimawandel und gegen steigende Energiepreise hätten, so der
CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus. Deutschland habe bei regenerativen Energien einen technologischen Vorsprung, den es nicht aufgeben dürfe. Daher ist Pflüger auch dafür, dass
die Energiewirtschaft einen Teil der Gewinne für abgeschriebene Atommeiler in einen Fonds einspeist, aus dem wiederum regenerative Energie gefördert wird. GÖPPEL SIEHT DEN AKW-NEUBAU ALS
"SCHEINAUSWEG" Bei der Schwesterpartei CSU, die im September eine Landtagswahl zu bestreiten hat, war das Thema Atomkraft an diesem Dienstag auch auf der Agenda. Parteichef Erwin
Huber forderte die Sozialdemokraten auf, wenigstens einer Verlängerung der Laufzeit deutscher Kernkraftwerke zuzustimmen. Die SPD müsse "vom verhängnisvollen Irrtum ihrer Zusammenarbeit
mit den Grünen Abschied nehmen". Der CSU-Bundestagsabgeordnete und Umweltpolitiker Josef Göppel hingegen, der in Energiefragen oft einen anderen Kurs als die Gesamtpartei vertritt,
will zwar über konkrete Verlängerungen bei einzelnen Kernkraftwerken reden - allerdings "gegen klare Zusagen über die Verwendung der Einnahmen, wenn die jeweilige Entscheidung
ansteht". Denn Göppel befürchtet, dass ein genereller Beschluss zur Verlängerung von Laufzeiten "Einsparbemühungen und Entwicklung der erneuerbaren Energien verschleppen
würde". Zur Forderung in Teilen der Union, neue Atomanlagen zu bauen, sagt er SPIEGEL ONLINE: "Mehr Kernkraft ist ein Scheinausweg, weil Wärme- und Treibstoffversorgung nicht
gelöst werden." DIE SORGE VOR EINEM BRAND Dass die Debatte über die Kernenergie Risiken birgt, ist in der Unionsspitze klar, vor allem wegen der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Die
tief verunsicherte SPD sucht nach einem emotionalen Thema, ist man überzeugt. Erst kürzlich schilderte ein Mitglied aus der CDU-Führungsebene sein ganz persönliches Schreckenszenario:
Während die Union über die Verlängerung von Laufzeiten rede, brenne ausgerechnet im Sommer 2009 auf dem Gelände eines Atomkraftwerks in Deutschland ein Holzschuppen. Die Chance zur
Profilierung würde sich die SPD mit Sicherheit nicht entgehen lassen.