Play all audios:
------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
_Persönliche Texte, neue Blickwinkel: Die deutschsprachige Reiseblogger-Szene hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt, ein riesiger Schatz von inspirierenden Berichten aus
aller Welt ist entstanden. Im Fragebogen-Interview stellen wir die Menschen hinter den originellsten Webseiten vor. Heute: der Kieler Video-Blogger Christoph Pfaff, verantwortlich für
VonUnterwegs.com ._ BITTE SCHREIBEN SIE FÜR UNS EXKLUSIV EINEN KURZ-BLOG ÜBER IHRE LETZTE REISE - UND ZWAR IN EINEM SATZ: Das Geräusch, das ich nie vergessen werde, ist ein Mix aus Knattern
und Rattern, als ich mit einem hustenden Solex-Motorroller durch das sommerliche Lyon bretterte, um im Museum den ersten Kinofilm der Welt von den Brüdern Lumière anzusehen, und mir dabei
spontan die Idee kam, selbst einen Stummfilm zu drehen. Der unerlaubte zweite Satz: Hab' ich dann auch gemacht . OHNE WELCHEN GEGENSTAND WÜRDEN SIE NIEMALS REISEN? Da muss ich gar nicht
lange überlegen: meine Jogginghose. Von Schreikindern mal abgesehen, gibt es auf Langstreckenflügen keine größeren Quälgeister als Gürtelschnallen und Jeansknöpfe. Deshalb habe ich mir
irgendwann angewöhnt, nur noch gemütlich ins Flugzeug zu steigen. Zugegeben: Den einen oder anderen irritierten Blick kassiere ich dafür schon. Aber ich glaube fest daran, dass die Erde ein
besserer Ort wäre, wenn wir alle in Jogginghose reisen würden. WO FÜHLEN SIE SICH AM WOHLSTEN: GEBIRGE, MEER, GROSSSTADT ODER WÜSTE? Da ich selbst am Meer lebe und dahingehend befriedigt
bin, macht in diesem Quartett auf jeden Fall die Großstadt den Stich. Metropolen wie Bangkok, New York und Tokio sind für mich das, was für Kinder von Ikea-Kunden das Småland ist: Setz mich
rein, und hol mich nie wieder raus! Pappkaffee in die Hand, hinsetzen, Leben gucken. Gebirge und Wüsten nehme ich auch schon mal mit, wenn sie eh gerade auf dem Weg liegen. Aber da fehlt mir
wohl ein bisschen die Leidenschaft. Oder die Kondition. DIE VERRÜCKTESTE REISE IHRES LEBENS? Die hätte eigentlich jetzt gerade stattfinden sollen. Ich hatte eine interaktive Reise namens
"In zehn Tagen um die Welt" mit fünf Stopps auf fünf Kontinenten geplant, bei der meine Social-Media-Gemeinde bestimmen sollte, welche verrückten Aufgaben ich an den jeweiligen
Orten zu erfüllen habe. Leider musste ich einen Teil der Organisation an einen Fernsehsender, der mich begleiten wollte, abgeben - und der hat das längst festgezurrte Projekt dann
tatsächlich noch drei Tage vor Abflug platzen lassen. Ich vermute, das ist das, was man Showbusiness nennt. IHR BESTER BLOG BISLANG? Wenn ich mich für meinen persönlichen Favoriten
entscheiden müsste, würde ich wahrscheinlich die Episode "Eisbaden in Finnland" nehmen, die in diesem Jahr durch die Nominierung für den Deutschen Webvideopreis ordentlich
Aufmerksamkeit bekommen hat. Was mich aber viel mehr beschäftigt, ist eine Ironie, die ich bisher noch nicht verstanden habe: Da reise ich das ganze Jahr um den Globus, um spannende und vor
allem exotische Filmchen mit nach Hause zu bringen - und welches ist das mit Abstand meistgeklickte Video? Das über meine Heimatstadt Kiel , das ich letzten Sommer mal eben so im Vorbeigehen
gedreht habe. Aber irgendwie ist das auch okay. Ich mag Kiel. Es ist mein Hafen. EIN VÖLLIG UNTERSCHÄTZTES REISEZIEL IST: Meine Blog-Besucher haben es anscheinend kapiert: Kiel natürlich!
Weil es mir in meiner Sprottenseele wehtut, wenn ich - zum Beispiel bei SPIEGEL ONLINE - lesen muss, dass die Stadt ja doch "eher unspannend" sei. Stimmt doch gar nicht, rufe ich
dann laut und stampfe beleidigt mit dem Fuß. Aber vermutlich ist meine feste Überzeugung, dass es im Sommer wirklich keinen besseren Ort als das Kieler Fördeufer gibt, einfach etwas
herzverzerrt. Oder der Kieler Sommer ist einfach zu kurz, um die Antwort gelten zu lassen. Ich möchte die Frage schieben. HAT DAS BLOGGEN DIE ART VERÄNDERT, WIE SIE REISEN? Sagen wir mal so:
Ich bin früher deutlich seltener über große Plätze und Straßen voller Menschen gegangen und habe mit einer Videokamera gesprochen, als sei sie mein Publikum. Wäre ich die anderen und könnte
mich von außen betrachten, würde ich mich wahrscheinlich ziemlich komisch finden. WIE OFT SIND SIE IM JAHR UNTERWEGS, WIE FINANZIEREN SIE IHRE REISEN? Die Finanzierung ist ein Mix aus drei
Töpfen: Im Idealfall erhalte ich den Auftrag zu einer Reisereportage von einer Zeitschrift, die die Reisekosten trägt. Da sich das die meisten Medien aber nicht mehr leisten können, springen
vermehrt die Tourismusämter der entsprechenden Destinationen als Unterstützer ein. Und der dritte Topf ist mein eigener, an dem ich mich natürlich am liebsten für private Reisen bediene.
Insgesamt komme ich dieses Jahr auf knapp 20 Reisen, die etwa viereinhalb Monate dauerten. Genügend Zeit, um meine Sehnsucht zu stillen. Aber zum Glück doch nicht ausreichend, um die Neugier
aufs nächste Abenteuer zu verlieren. DER GRÖSSTE LUXUS, DEN SIE SICH UNTERWEGS GÖNNEN? Muss ich hier jetzt wirklich noch beichten, dass ich ein tierisch knauseriger Mensch bin? Ich gönne
mir - auch zu Hause - kaum etwas. Nicht, weil ich denke, mein Geld irgendwann mal für wichtigere Dinge brauchen zu können, sondern weil ich recht genügsam bin, glaube ich. Der größte Luxus,
den ich mir in meinem Leben gönne, ist das Reisen selbst. _Die Fragen stellte Stephan Orth_