Formel 1: Charles Leclerc gewinnt in Spa und trauert um Anthoine Hubert - DER SPIEGEL

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Mit so einer Situation hatte die Formel 1 lange nicht umzugehen. Ein Rennwochenende, geprägt von einem schweren Unfall, es hat einen Toten auf der Strecke gegeben. Anthoine Hubert, der junge


Formel-2-Pilot aus Frankreich, war am Samstag beim Formel-2-Rennen in Spa-Francorchamps ums Leben gekommen. Eine Hypothek für die gesamte Formel 1, eine besondere Hypothek für den


21-Jährigen Charles Leclerc.


Der Ferrari-Pilot aus Monte Carlo hatte fahrerisch das Wochenende beherrscht, er hatte das freie Training gewonnen, das Qualifying dominiert und dann auch das Rennen am Sonntag von der


Spitze weg gefahren. Es war sportlich das Größte, was Leclerc bisher erlebt hat, sein erster Formel-1-Sieg, der erste Erfolg eines Fahrers aus Monaco darüber hinaus. Zudem erlöste er die bis


jetzt auf den ersten Erfolg wartenden Ferrari-Fans. Und er sagte: "Ich kann mich darüber nicht freuen."


"Ich habe das Rennen gewonnen, aber ich habe einen Freund verloren", es sei "sehr schwierig, den sportlichen Erfolg zu genießen". Leclerc und Hubert kannten sich bereits als Kinder, "wir


sind zusammen im Motorsport groß geworden", sagte Leclerc im ersten Interview nach dem Erfolg, den er seinem toten Freund widmete. "Dies hier ist für Antoine."


Vor vier Jahren war letztmals ein Formel-1-Pilot ums Leben gekommen - es war der Franzose Jules Bianchi, und auch er war ein Freund und Weggefährte von Leclerc. Bianchi war beim Rennen im


japanischen Suzuka schwer verunglückt und starb nach neun Monaten im Koma im Krankenhaus. Die Eltern von Bianchi haben den jungen Leclerc einst auch finanziell unterstützt, damit er seine


Motorsportkarriere vorantreiben konnte.


Vor dem Rennen in Belgien hatte es eine Schweigeminute gegeben, in der 19. Runde wurden die Zuschauer in Spa gebeten, sich von den Plätze zu erheben, Hubert hatte in der Formel 2 die


Startnummer 19 gehabt, aber dann hieß die Devise: The Show must go on. Dann ging es wieder um die Härte der Reifen, um den strategisch besten Zeitpunkt für die Boxenstopps, um die Teamorder


bei Ferrari. Den Grand Prix nach dem Tod Huberts abzusagen, war nie eine Option. "Ein Rennen zwischen Schockzustand und Business as usual", fasste die Deutsche Presseagentur zusammen.


Am Tag nach dem Unfall war schon wieder viel Normalität in der Formel-1-Szene, auch wenn auf die sonst übliche Champagnerdusche nach dem Rennen diesmal verzichtet wurde. Der Sieger


allerdings - er sorgte dafür, dass man nicht so schnell zur Tagesordnung übergehen wird. Leclerc reckte bei der Siegerehrung den Finger in die Höhe, den Schluck aus der Sektflasche


verweigerte er auf dem Podium. Mit dem Satz, "ich werde dieses Rennen immer in Erinnerung behalten", bündelte er all die unterschiedlichen Emotionen, die dieses Wochenende in


Spa-Francorchamps ihm gebracht hat.


Zum dritten Mal hatte der 21-Jährige bei einem Formel-1-Rennen die Pole Position im Qualifying erobert, diesmal jedoch, anders als zuvor in Bahrain und in Spielberg, brachte er seine ideale


Ausgangsposition auch ins Ziel. Seit zwei Jahren erst ist Leclerc in der Formel 1, dass er jetzt schon neben Sebastian Vettel im Ferrari-Cockpit sitzt, den vielleicht traditionsreichsten


Rennstall der Formel 1 repräsentiert, hat die Erwartungen an ihn enorm erhöht. Mit dem Sieg von Spa wird auch die Hierarchiefrage bei Ferrari wieder aufs Tapet kommen.


Die Ferrari-Teamorder vom Sonntag sprach jedenfalls eine deutliche Sprache. Vettel durfte nichts tun, um den Sieg seines Teamkollegen zu gefährden. Er musste ihn sogar passieren lassen,


nachdem der Deutsche nach den Boxenstopps zwischenzeitlich in Front lag. Der Rennstall hatte sich an diesem Tag eindeutig pro Leclerc festgelegt. Noch nur für dieses eine Rennen. Aber die


Gerüchte aus den Vorwochen, Vettel denke über ein Karriereende nach, dürfte man in Maranello auch vernommen haben.


Charles Leclerc ist die Zukunft der Formel 1. Dieses Wochenende hat ihm viel abverlangt, und es hat ihn reifen lassen.