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Eine Ausstellung in Paris erinnert kritisch an Frankreichs größte ethnologische Expedition quer durch Afrika. Von Caroline Fetscher Als André Schaeffner im Oktober 1931 nach Afrika kam,
hatte er Tonaufnahmen mit Jazzklängen dabei. Auf einem Phonographen spielte der junge französische Musikwissenschaftler den Dogon in Mali etwas davon vor. Nach seiner Auffassung waren es
afrikanische Sounds. Ihre Reaktion? Desinteresse. Die in New Orleans entstandene Fusion aus afroamerikanischen Rhythmen und europäischen Harmonien sagte ihnen offenbar wenig. Dafür zeigten
sich die „Boys“ der Expedition, zu der Schaeffner gestoßen war, begeistert von Ravels „Bolero“. Auch das war eine Überraschung. Die Expedition Dakar-Djibouti, der Schaeffer sich anschloss,
war ein immenses Unterfangen der französischen Forschung. Zwei Jahre lang, von 1931 bis 1932, zogen elf Wissenschaftler samt Ausrüstung und Personal quer durch den subsaharischen Kontinent,
vom Senegal über Kamerun und Sudan bis Äthiopien, um zu forschen, zu fragen, zu sammeln. Groß war das Interesse am „Fremden“, das so verheißungsvoll und unheimlich zugleich sein konnte. AUF
DEN SPUREN DER HISTORISCHEN EXPEDITION Jetzt widmet das Pariser Musée du Quai Branly dieser Expedition eine intelligente und erhellende Ausstellung, die zugleich einer parallelen Reise gilt.
Denn eine neue Expedition hat sich inzwischen auf die Spuren der alten gemacht, und Material zum Material mitgebracht. Daher nennt sich die Ausstellung im Untertitel „contre-enquêtes“,
Gegen-Untersuchungen. Sie sind eher eine Art Nachuntersuchungen, und auf alle Fälle ertragreich. So zeigen Video-Interviews, wie sich betagte Afrikaner daran erinnern, was man sich früher
über die reisenden Weißen erzählt hat. Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit
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Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können. Wie der zwanzig Jahre alte, spektakuläre Bau des Museums
am Ufer der Seine von Säulen getragen über einem botanischen Garten schwebt, so hat auch die Ausstellung zwei Ebenen, die als Ensemble überzeugen. BASIS FÜR DAS ETHNOLOGISCHE MUSEUM
Initiator der historischen „Mission“ war das ethnologische Museum Trocadéro in Paris, das der damaligen Sammelleidenschaft fast zehntausend seiner Objekte verdankt, Alltagsgegenstände und
rituelle Kunst, sowie Präparate aus Flora und Fauna. Dazu kamen 6000 Fotografien und tausende Seiten Notizen. Die Tour durch Afrika lieferte den Grundstock der ethnologischen Sammlung. In
ihrem Plädoyer zur Restitution außereuropäischer Museumsobjekte pochten Benedicte Savoy und Felwine Sarr unter anderem auf die Rückgabe von Masken der Dogon, die zur Ausbeute dieser Reise
gehörten. Kopf der Mission war der Ethnologe Marcel Griaule. Er hatte über die Masken der Dogon promoviert, und galt während der Vichy-Jahre als relativ angepasst. Die Dogon verehrten ihn so
stark, dass sie nach seinem Tod 1956 eine Trauerzeremonie wie für ein Ehrenmitglied abhielten. Für die Expedition hatte Griaule staatliche Mittel, um einen Riesentross zu finanzieren,
Lastwagen, Zelte, Kameras, Stromgenerator und ein Fotolabor. Im Geist einer Moderne, in der Ethnologie und Avantgarde einander inspirierten, hatte Griaule Fachfremde ins Team geholt,
darunter den jungen Literaten Michel Leiris und andere aus dem Umfeld von Georges Bataille oder Pablo Picasso. EUROPÄISCHE MENTALITÄT ABSCHÜTTELN 1934 erschien Leiris’ voluminöses
Reisetagebuch „Phantom Afrika“. Es fegte experimentell über alle Genres hinweg, er hatte ästhetische, kulturelle, politische und intime Beobachtungen notiert, wollte den ethnografischen
Blick auf sich selber richten und seine „europäische Mentalität“ abschütteln. 2022 wurde die deutsche Ausgabe des Journals, exzellent ediert von Irene Albers, neu herausgegeben im Berliner
Verlag Matthes und Seitz, ein Füllhorn an Material und Kenntnis. Wurden die Objekte damals erworben, gestohlen, geschenkt? Auch Leiris, der die koloniale Praxis verabscheute, unterschied da
nicht so genau. Immerhin diene es dem „guten Zweck“, dass Europäer von der phänomenalen schwarzen Kultur erfahren. Kaufverträge und Schenkungen kamen wohl teils durch lokale Machthaber
zustande, die in der Ausstellung auf imposanten Fotografien, teils in prachtvollen Gewändern, zu sehen sind. Das Museum am Quai Branly befindet sich weiter in Klärungsprozessen, und weist
heute für die Mehrheit seiner 70.000 subsaharischen Objekte legalen Erwerb nach. Attraktiv wird die Ausstellung Dakar-Djibouti vor allem dadurch, dass die hybriden Verflechtungen spürbar
werden zwischen Kolonialmacht und Kolonialkritik, lokalen Autoritäten und Bevölkerung, zwischen afrikanischen und europäischen Mythen vom jeweils anderen. Leiris, der später vom Surrealisten
zum Kommunisten wurde, fand in Afrika für sich heraus, dass er, wie alle Reisenden, seine Herkunft überallhin mitnahm.