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Polio galt weitgehend als besiegt, ein Erfolg der modernen Medizin. Doch nun meldet Papua-Neuguinea einen neuen Ausbruch, der zeigt, wie zerbrechlich Erfolge in der globalen
Gesundheitsvorsorge sind. Ein unsichtbares Virus schleicht sich durch die Abwässer Papua-Neuguineas – und bedroht vor allem die Jüngsten. Der Inselstaat im südwestlichen Pazifik kämpft
erneut mit einem Ausbruch der Kinderlähmung. Vergangene Woche erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell den Notfall: In Lae, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurde das
Poliovirus bei zwei gesunden, aber zuvor geimpften Kindern nachgewiesen. HOCHANSTECKENDE KRANKHEIT „Polio oder Poliomyelitis ist eine hochansteckende und lähmende Krankheit, die vor allem
Kinder unter fünf Jahren betrifft“, sagte Neena Bhandari, Journalistin mit Sitz in Sydney, Polio-Überlebende und Gründerin von Post-Polio India. Das Virus wurde in Papua-Neuguinea bei
routinemäßigen Untersuchungen im Abwasser entdeckt. Auch in der Hauptstadt Port Moresby fielen Proben positiv aus. Deswegen ist die Sorge nun groß, dass sich das Virus von dort im ganzen
Land ausbreiten könnte. Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen
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Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können. Das nördlich von Australien gelegene Land nimmt den östlichen Teil der
Insel Neuguinea ein, während der Westen zu Indonesien gehört. Rund 80 Prozent der etwa 10,5 Millionen Menschen leben in ländlichen Gebieten. Viele Regionen sind schwer zugänglich, da dichte
Regenwälder, zerklüftete Gebirgszüge und eine mangelhafte Infrastruktur das Reisen erschweren. RÜCKKEHR EINER VERGESSENEN GEFAHR Der nachgewiesene Virusstamm ist ein sogenanntes
zirkulierendes impfstoffabgeleitetes Poliovirus Typ 2 (cVDPV2). Genetisch ähnelt er einem Virus, das derzeit in Indonesien kursiert – ein Hinweis auf mögliche regionale Verbindungen. Die
hochansteckende Viruserkrankung, die vor allem Kinder betrifft, verläuft in den meisten Fällen unbemerkt. Doch in weniger als einem Prozent der Fälle führt sie zu Lähmungen, die lebenslange
Behinderungen nach sich ziehen können. Übertragen wird das Virus meist fäkal-oral – also durch Kontakt mit verunreinigten Fäkalien – oder über direkten Körperkontakt. Neue Studien deuten
außerdem darauf hin, dass auch eine Übertragung über Atemwegssekrete relevanter sein könnte als bisher gedacht. Seit dem Start der Globalen Polio-Initiative 1988 ist die Zahl der weltweiten
Fälle um 99 Prozent zurückgegangen. Wildtypen des Virus sind heute nur noch in Pakistan und Afghanistan endemisch. Doch eine andere Form macht zunehmend Sorgen: die impfstoffabgeleiteten
Polioviren. RISIKEN DES ORALEN IMPFSTOFFS Dabei handelt es sich rein um den oralen Polioimpfstoff (OPV), der abgeschwächte, aber lebende Viren enthält und nach wie vor in vielen Ländern
verwendet wird. Diese lösen eine starke Immunreaktion im Darm aus und verhindern so, dass sich das Wildvirus weiterverbreitet. Doch es gibt eine Kehrseite: Die Impfviren werden über den
Stuhl ausgeschieden und können in schlecht versorgten Gebieten – also in Regionen, in denen die Impfabdeckung niedrig ist – weiter zirkulieren. Mutieren sie, können sie erneut Infektionen
verursachen – mit dem Risiko von Lähmungen. „Das Risiko einer internationalen Verbreitung solcher Viren wird von der WHO als hoch eingeschätzt“, schreiben Forschende des Burnet Institutes in
einem Beitrag für „The Conversation“. Zwischen 2023 und 2024 kam es weltweit in 39 Ländern zu Ausbrüchen mit impfstoffabgeleiteten Polioviren. Inzwischen ist auch ein neuer, stabilerer
Impfstoff im Einsatz: nOPV2, der weniger wahrscheinlich mutiert. Doch die Impfquote bleibt niedrig, da es in armen Ländern an Ressourcen und einem ausreichenden Zugang zu Gesundheitsdiensten
fehlt. DAUERHAFTER SCHUTZ ALS ZIEL Papua-Neuguinea wurde eigentlich im Jahr 2000 offiziell als poliofrei erklärt. Doch 2018 kam es zu einem ersten Rückschlag: 26 Fälle in neun Provinzen –
alle verursacht durch impfstoffabgeleitetes Poliovirus. Der Ausbruch konnte damals durch Massenimpfungen, engmaschige Überwachung und intensive Gemeindearbeit eingedämmt werden. Auch diesmal
reagiert die Regierung schnell: Gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Unicef und der australischen Regierung wurde ein nationaler Notfallplan aktiviert. Ein zentrales Problem
bleibt aber bestehen: Nur etwa die Hälfte der jährlich geborenen Kinder erhält in Papua-Neuguinea die empfohlenen Routineimpfungen. Für einen effektiven Gemeinschaftsschutz – sogenannte
Herdenimmunität – wären mindestens 95 Prozent nötig. Unicef-Vertreterin Veera Mendonca betont, dass es keine Heilung für Polio gebe – wohl aber eine einfache Prävention: „Die Krankheit kann
verhindert werden, wenn jedes Kind geimpft wird.“ Deshalb arbeite das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen eng mit Kirchen und Gemeindeleitungen zusammen. „Wir brauchen ihre Stimmen, um
korrekte Informationen zu verbreiten und zur Impfung zu ermutigen“, sagt Mendonca. Ein Vorbild könnte Gaza sein, wo nach einem Polio-Fall 2023 schnell und erfolgreich eine Impfkampagne
umgesetzt wurde. Auch wenn derzeit die Eindämmung des Ausbruchs Priorität hat, sei der Moment ideal, um langfristig höhere Impfraten zu erreichen. „Unser Ziel muss sein, die Routineimpfungen
auf 90 Prozent zu steigern, um Kinder dauerhaft zu schützen.“ Auch die Polio-Überlebende Neena Bhandari betont die Wichtigkeit der Impfung: „Derzeit ist die Impfung die einzige Möglichkeit,
sich gegen Polio zu schützen – und ihre Bedeutung kann im Rahmen der globalen Initiative zur Ausrottung der Krankheit nicht genug betont werden.“